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Noch ein merkwürdiger Mars

Auch Diego Velazquez, der Hofmaler des spanischen Königs Philipp IV., hat sich mehrfach mit den mythologischen Erzählungen rund um den Kriegsgott Mars und seine heimliche Beziehung zur Liebesgöttin Venus, der Gattin des Schmiedegottes Vulcanus, beschäftigt. Berühmt ist etwa Velazquez‘ Darstellung des Sonnengottes Sol, der Vulcanus in dessen Schmiede aufsucht und ihn über die ehebrecherischen Vorgänge informiert.

Etwas weniger bekannt, weil zunächst der Öffentlichkeit entzogen, aber um so interessanter ist sein „(Ausruhender) Mars“ von ca. 1639, ursprünglich gemalt für die Torre de la Parada, das damals renovierte königliche Jagdschloss, für dessen Dekoration Velazquez gemeinsam mit Rubens und seiner Werkstatt zuständig war.

Manche Kunsthistoriker können geradezu in Verzweiflung geraten, wenn sie auf ein Motiv treffen, das in der europäischen Bildtradition „so noch nie“ dargestellt wurde. Rembrandts Radierung des sog. Doktor Faustus ist ein gutes Beispiel. Oder eben dieser Mars von Velazquez.

Ein quasi nackter Mars, nur seinen Prunkhelm auf dem Kopf, allein, auf einem Bett sitzend, die Waffenpracht zu Füßen, von diversen Laken umhüllt – das hat tatsächlich vorher noch nie jemand so gemalt. Kein Vorbild, nirgends, das man als Interpretationsstütze heranziehen könnte. Eigene Beobachtungen und Überlegungen sind nötig. Dazu vielleicht einige Anregungen:

Was also ist zu sehen?

  • Ein nackter Mars auf einem Bett? Es gibt nur eine mythologische Erzählung, in der ein solcher Mars vorstellbar ist – eben die von Homer und Ovid besungene Mars-Venus-Liebschaft.
  • Sehen wir Mars hier vor oder nach dem Liebesspiel? Die zerwühlten Laken sprechen für ein Nachher, auch der erzählte Ablauf des Vorfalls: Venus empfängt, entwaffnet und entkleidet den Kriegsgott auf ihrem heimischen Lager – nicht umgekehrt.
  • Der sonst so gefürchtete Kriegsgott gibt hier ein ganz und gar unheroisches, nachdenklich-bedrücktes Bild ab, fast schon wirkt er lächerlich. Auch das passt recht gut zur Mars-Venus-Episode: Der ertappte und von den Götterkollegen verlachte Mars, am Ort der Schande – seine Geliebte ist offenbar schon voller Scham nach Zypern geflohen, bevor er selbst sich nach Thrakien aufmacht.
  • Und was ist mit der Fesselung? Ihr sublimes Echo finden wir in den Laken. So wie etwa Veronese seinen Mars durch ein zartestes Tüchlein am Bein gefesselt malt (das Echo einer Geste, die wir im übrigen schon beim berühmten Ares Ludovisi finden), schlingen sich hier rote, weiße und blaue Laken um das Lasterbett und um die Gliedmaßen des Ertappten. Wollte er sich erheben, müsste er sich zunächst umständlich von allerlei Tuch befreien. Damit zeigt sich das Liebeslager selbst als Fessel des Krieges.
  • In dieser Fesselung erkennen wir nun eine auffällige Dreifarbigkeit. Zunächst: Blaue oder weiße und rote Draperien können für die himmlische und die irdische Seite der Venus stehen, sie passen also ins Bild. Aber wie diese Farben hier zusammenspielen! An der Lende ballen sie sich markant zu einer Art Knoten, der die Laken bildlich zusammenhält. Und links im Bild zeigen die Farben sich als drei Streifen, fast schon wie bei einer Flagge.
  • Kann das alles ein Zufall sein? Genau eine solche Flaggen-Trikolore gibt es nämlich, eine einzige (und zu Velazquez Zeiten ist das keineswegs die französische – die entsteht sehr viel später). Es ist eine Flagge, die für den spanischen Hof größte Bedeutung hat: Es ist die Kriegsflagge der aufständischen Niederlande – die „Prinsenvlag“.

Bis hierhin hieße das also, bündig zusammengefasst: Der Gott des Krieges, nachsinnend, wie er sich der ärgerlichen Fesselung durch einen bestimmten Kriegsgegner entledigen kann. Das Erstaunliche daran: All das würde exakt zur realen historischen Situation passen – wie gemalt, sozusagen…

Die reale Geschichte

Lange hatte sich Velazquez‘ eigentlicher Gönner, der Conde-Duque Olivares – als Quasi-„Regierungschef“ Spaniens das Gegenstück zu Richelieu und Mazarin in Frankreich – dagegen gewehrt, die Unabhängigkeit der aufständischen Niederlande zuzulassen.

Conde-Duque Olivares, Spaniens Regierungschef und Velazquez‘ Gönner

Doch je länger und erbitterter sich der Krieg mit Spaniens eigentlichem Hauptgegner Frankreich hinzog, desto mehr spielte die spanische Politik – mehr und mehr auch Olivares – mit dem Gedanken, die nördlichen Niederlande als Kriegsgegner aus dem Spiel zu nehmen. Denn damit konnte Spanien seiner nördlichen Dependance, den spanischen Niederlanden um Brüssel und Antwerpen, die Fortsetzung eines Zweifrontenkriegs ersparen und stattdessen umgekehrt Frankreich von Süden und Norden in die Zange nehmen.

So waren es spätestens ab Anfang der 1640er Jahre die Spanier, die gegenüber den aufständischen Niederlanden um Frieden warben, während Frankreich die Niederländer massiv zur Fortsetzung des Krieges drängte. In den Niederlanden setzte sich bekanntlich das Friedenslager durch: 1648 wurde mit dem Vrede van Münster der Frieden mit und die Unabhängigkeit von Spanien unterzeichnet und beschworen.

15. Mai 1648: In Münsters Ratssaal wird der „Vrede van Munster“ beschworen

Zurück nach Spanien, in die Privatgemächer Philipps IV.: Offenbar hatte also der nachdenklich-sinnierende spanische Mars vernünftig entschieden und sich von seiner lästigen Fesselung durch den niederländischen Kriegsgegner befreit.

Doch half diese Entlastung letztlich nur begrenzt: Der Krieg mit Frankreich setzte sich auch nach 1648 fort, er endete erst 1659 mit dem Pyrenäenfrieden. Und mit ihm fand das Zeitalter der spanisch-habsburgischen Vorherrschaft in Europa sein Ende.

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